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Ergebnisbericht Vernetzungsworkshop
Unter folgendem Link findet sich der Ergebnisbericht des World Cafés, das während der Tagung zum Thema „Animation in Lehre, Wissenschaft and more…“ abgehalten wurde.
Tagungsbericht
von Jannik Müller (2019)
In St. Pölten, der Hauptstadt des Bundeslandes Niederösterreich, fand in der letzten Novemberwoche 2018 die biennale Tagung der GfM-Arbeitsgruppe „Animation“ statt. Unter dem Titel „In Wirklichkeit Animation…“ kamen Wissenschaftler*innen und Filmschaffende aus dem deutschsprachigen Raum an der Fachhochschule St. Pölten zusammen, um theoretische und praktische Perspektiven der aktuellen Animationsforschung zu besprechen.
In seiner Keynote stellte der Animationsfilmer Andreas Hykade als Auftakt der Tagung seine Strategien der Rhythmisierung in der Animation vor und demonstrierte diese am Beispiel eigener Arbeiten. In stilistisch unterschiedlichen Filmen wurde deutlich, dass Rhythmus die treibende Kraft seiner Animationen ist und sowohl dramaturgisch, als auch gestalterisch die Ästhetik von Animationsfilmen prägt. Mit der Keynote des Filmschaffenden wurde dem Wunsch nach engerer Zusammenarbeit von Theorie und Praxis Ausdruck verliehen, der in den drei Tagen wiederholt betont wurde.
In dem ersten regulären Vortrag stellte Julia Eckel die vielschichtigen Auslegungen des Tagungstitels „In Wirklichkeit Animation…“ heraus: Wie stellt Animation die Wirklichkeit dar? Wie erschafft Animation ihre eigene Wirklichkeit? Was ist Animation in Wirklichkeit? Diese Fragen nach Indexikalität, ästhetischen Dimensionen der Animation und der Arbeit in der Animationspraxis boten einen thematischen Überblick des Tagungsprogramms. Eckel selbst sprach über Tech Demos und Tech Dokus, die einerseits in Form von Demonstrationsvideos neue Animationstechniken vorstellen, und Making-ofs, welche einen Einblick „Hinter die Kulissen“ des Animationshandwerks ermöglichten. Dieses Spannungsfeld aus technischen Möglichkeiten und künstlerischer Umsetzung wurde auch in weiteren Vorträgen aufgegriffen. So sprach Tina Ohnmacht über „Physikalisch simuliertes Wasser und die spezifische Materialität animierter Filmbilder“. In frühen Computeranimationsfilmen sei Wasser zwar physikalisch simuliert worden, habe aber nur annähernd dieselben Eigenschaften wie real existierendes Wasser. Dies führte sie auf die begrenzte Rechenleistung in den späten 1990er Jahren zurück. Bernhard Schmitt referierte über die Verwischung der Grenzen zwischen Computer- und Stop Motion-Animation. Während in den frühen Tagen der Computeranimation Modelle im realen Raum modelliert und anschließend digitalisiert wurden, würden heute umgekehrt Modelle für den Stop-Motion-Animationsfilm am Computer modelliert und mit einem 3D-Drucker hergestellt. Andrea Polywka besprach die technischen Herstellungsprozesse von Animationen auf der einen Seite und die teils verfälschende Darstellung in der Filmvermarktung auf der anderen Seite.
Neben Vorträgen zu Animationstechniken wurden in insgesamt acht Panels unterschiedlichste Gebiete der Animationstheorie und -praxis vorgestellt und diskutiert. So besprach Sigrun Lehnert den dokumentarischen Einsatz von Animation in Filmberichten der Kino-Wochenschau in den 1950er und 1960er Jahren. Hannes Rall stellte in Ausschnitten eine Work-in-progress-Fassung des Dokumentarfilms „Little Red Bard“ vor. In diesem wird die Relevanz von Shakespeares Werk für Digital Natives in Singapur behandelt und es werden journalistische Live-Action-Aufnahmen mit animierten Figuren, z.B. einer Cartoon-Version von William Shakespeare, kombiniert.
Auch der Bezug zu aktuellen politischen Diskursen wurde gezogen. Maike Sarah Reinerth präsentierte das Konzept ihres Postdoc-Projekts „Political Anima[l]s: Animation und Politik im Internet“, in dem unterschiedliche Formen von Animation in politischer Kommunikation untersucht werden, von animierten Propagandafilmen über animierte Satire bis zu GIFs während des US-amerikanischen Wahlkampfs 2016. Die politische Dimension von Animation untersuchte ebenfalls Stefan Schweigler in seinem Vortrag über queerfeministische Games.
Neben Animationen als Reflexionen politischer Diskurse wurden auch die Potentiale virtueller Handlungsräume besprochen. Besonders hervorzuheben sind Tania de León Yong und Eduardo Ortiz Vera, die ihr Projekt „Creative strategies for drawing and animated drawing in VR“ an der FAD Universidad Nacional Autónoma México vorstellten. Das dreidimensionale Malen in der virtuellen Realität konnte im Foyer des Tagungsgebäudes ausprobiert werden.
Während in diversen Vorträgen und den anschließenden Diskussionen der Wunsch nach Zusammenarbeit zwischen Theorie und Praxis geäußert wurde, wurde in einer abendlichen Podiumsdiskussion im Wiener Museumsquartier ein erster Schritt dahingehend geleistet. In dem von Maike Sarah Reinerth moderierten Forum diskutierten Reinhold Bidner (Kollektiv gold extra), Susanne Molter (AG Animationsfilm), Stefan Stratil (ASIFA Austria) und Conrad Tambour (Neuer Österreichischer Trickfilm) über das Thema „Wirklichkeiten der Animationsproduktion“. Einleitend stellte Susanne Molter eine Studie zur Lage des deutschen Animationsfilms aus dem Jahr 2017 [Link zur Studie] vor. Diese ergab, dass das deutsche Fernsehen in den Jahren 2010–2015 kaum Animationsformate ausgestrahlt hat, die im deutschsprachigen Raum produziert wurden. Als Gründe für die prekäre Lage der Animationsfilmproduktion in Deutschland, Österreich und der Schweiz wurden in der Diskussion besonders die Abhängigkeit von Fördergeldern und die niedrigen Löhne von Animator*innen hervorgehoben. Eine Animationskultur wie in anderen Ländern könne im deutschsprachigen Raum auch aus dem Grund nur schwer entstehen, da die wenigen dort entwickelten Animationsprojekte durch Outsourcing ins Ausland verlagert würden. An dieser Stelle wurde aus dem Publikum der Einwand eines Filmschaffenden geäußert, die Lage sei nicht prekär, da sich die Animator*innen durchsetzen würden, die es wirklich wollten. Außerdem bestehe stets die Möglichkeit, für Erfolg und ein höheres Gehalt im Ausland zu arbeiten. Zumindest letzteres ist möglicherweise zutreffend, doch verfehlt dieser Kommentar das eigentliche Thema der Diskussion, in der es um die empirisch belegte missliche Lage der Animationsfilmproduktion und Verbesserungsmöglichkeiten in Deutschland, Österreich und der Schweiz ging. Der Konsens aller Diskutant*innen der Podiumsdiskussion war, dass die Animationsfilmbranche im deutschsprachigen Raum sich nur verbessern könne, wenn die Arbeitsbedingungen sich verbessern. Um dies zu erreichen, müssten sich die Animationsfilmschaffenden noch stärker vernetzen, um als Interessengemeinschaft besser wahrgenommen zu werden.
Eine weitere Besonderheit im Programm der Tagung stellte der Vernetzungsworkshop „Animation in Lehre, Wissenschaft and more…“ dar. In einer interaktiven Ideenwerkstatt konnten die Teilnehmenden in vier Stationen unterschiedliche Problemfelder diskutieren und Lösungsansätze zusammentragen. Zu den verhandelten Themen gehörten z.B. die Bedingungen für innovative Lehr- und (Aus)Bildungsformate rund um Animation, die Nachwuchsförderung oder auch die Implementierung von Animationspraxis in universitäre Kontexte. Zwar stellte dieser morgendliche Kurzworkshop eine kurzweilige und aufgrund der zahlreichen beschriebenen Flipchart-Seiten eine produktive Arbeit dar, doch hatten die Teilnehmenden selbst wenig davon. Der als Vernetzungsworkshop betitelte Programmpunkt diente letztendlich allem voran der Informations- und Datensammlung, ein Vernetzungspotential hingegen war nicht ersichtlich. Ob diese Ideenwerkstatt einen sinnvollen Programmpunkt darstellte, ist somit von der künftigen Nutzung der erarbeiteten Diskussionsergebnisse abhängig.
Nachdem in der Keynote zu Beginn der Tagung der Rhythmus als kreatives Mittel vorgestellt wurde, widmete sich der letzte Tag von „In Wirklichkeit Animation…“ vollständig der auditiven und rhythmischen Komponente der Animation. Mit einem Vortrag über visuelle Rhythmen in der Animation wurde von Rosangela de Araujo die Produktion untersucht, während die Wahrnehmung von Animation in einem Vortrag von Victoria Wolfersberger über die Synthese von Farben und Musik thematisiert wurde.
Die Tagung „In Wirklichkeit Animation…“ zeichnete sich durch eine große inhaltliche Vielfalt und Interdisziplinarität aus, die vor allem durch das divers auslegbare Begriffspaar von Animation und Wirklichkeit gefördert wurde. Dem wiederholt geäußerten Wunsch nach mehr Zusammenarbeit von Theorie und Praxis entsprechend, boten sich durch Vorträge aus Wissenschaft und Kunst sowie gemeinsame Diskussionen zahlreiche Gelegenheiten zum Austausch und zur Vernetzung. Eine Publikation mit Beiträgen der Tagung soll – wie schon bei den vorhergehenden Tagungen der AG Animation – folgen.