Konferenzbericht „In Bewegung setzen …“

„In Bewegung setzen …“ Konferenz zur deutschsprachigen Animationsforschung

Besprochen von: Sebastian Bartosch (Hamburg)

15.–17. November 2012, Universität Hamburg
AG Animation, Gesellschaft für Medienwissenschaft: http://ag-animation.de
Arbeitsstelle für Graphische Literatur, Universität Hamburg: http://www.slm.uni-hamburg.de/imk/service/argl.html

Als anthropomorphe Tierfigur des Zeichentrickfilms oder digital gerenderte Welt eines Computerspiels, im Opening einer US-amerikanischen Fernsehserie oder im japanischen Anime, als Special Effect eines Hollywood-Blockbusters oder im Dokumentarfilm, in Smartphone-Applikationen oder bildgebenden Verfahren der modernen Medizin, auf den Werbetafeln der Innenstädte oder im White Cube des Museums – die Animation ist längst zu einem allgegenwärtigen Bestandteil der Kultur- und Medienlandschaft geworden. Animierte Bewegtbilder sind in der Vielfalt ihrer möglichen Erscheinungsformen ein Phänomen von ebenso transmedialer wie transkultureller Reichweite. Dementsprechend unterschiedlich können die spezifischen Kontexte ausfallen, innerhalb derer diese Bilder jeweils gestaltet und wahrgenommen werden.

Dieser Heterogenität auf Seiten der Animationsforschung mit einem Pluralismus disziplinärer Zugänge und wissenschaftlicher Methoden Rechnung zu tragen, war das erklärte Ziel der Konferenz In Bewegung setzen…, die vom 15. bis zum 17. November 2012 in Hamburg stattfand. Eingeladen hatten die Arbeitsstelle für Graphische Literatur der Universität Hamburg sowie die AG Animation der Gesellschaft für Medienwissenschaft, der die Zusammenkunft zugleich als erste gemeinsame Jahrestagung diente.

In Bewegung setzen: Animation zwischen Bewegung und Stillstand

Als dasjenige Charakteristikum der Animation, welches namensgebend für die gesamte Konferenz war, bildete die Bewegung zugleich den thematischen Schwerpunkt des ersten Panels. Pirkko Rathgeber (Basel) beschrieb die Figur in Zeichnung und Animation anknüpfend an Erich Auerbachs Essay Figura [1] als ein unabschließbar „Lebend-Bewegtes“, welches als verbindendes Scharnier zwischen den Polen von Bewegtheit und Stillstand gedacht werden könne. Vom Logo der Suchmaschine Google, welches sich – zu zahlreichen Anlässen als Doodle (dt.: „Kritzelei“) umgestaltet – vom Internetnutzer z.T. per Mausklick zusätzlich in Bewegung versetzen lasse, schloss Rathgeber auf die Bewegungslatenz gezeichneter Figuren: Die Wahrnehmung der letzteren durch die Rezipienten verhalte sich demnach analog zum  In-Bewegung-versetzen der Animation. Konzepte der bewegten Figur, wie sie in der Bewegungslehre der Renaissance vorbereitet worden seinen, würden im Rahmen zeitgenössischer künstlerischer Praktiken und wahrnehmungspsychologischer Versuchsanordnungen zum Gegenstand der Reflexion. Die Figur als ein synthetisches, in seiner unvollendeten Vielgestalt gleichwohl einheitliches Ganzes erscheine dabei stets in Wechselspielen – im traditionellen Bild mit Bewegungspotential sowie im Bewegtbild mit Potential zum Stillstand. Rathgebers auf diese Weise kunsthistorisch fundierte Untersuchung lieferte so wertvolle Erkenntnisse und begriffliche Grundlagen zum Verhältnis von Bewegung und Figur, dessen zentrale Bedeutung für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Animation sich im weiteren Verlauf der Tagung wiederholt bestätigen werden sollte.

Die bewegungsanalytischen und gleichermaßen medienreflexiven Qualitäten künstlerischer Animationspraktiken zeigte auch der anschließende Beitrag von Daniel Kulle (Hamburg) auf. Mit dem Begriff der „De-Animation“ untersuchte Kulle Experimentalfilmarbeiten des österreichischen Künstlers Martin Arnold, in denen Sequenzen bekannter Hollywoodfilme zu Loops wiederholter Vor- und Rückwärtsbewegungen montiert sind: Das von Arnold gewählte Verfahren ermögliche dabei einerseits auf der phänomenlogischen Ebene des filmischen Bildes Rückschlusse hinsichtlich des Verhältnisses zwischen bewegtem Körper und Umgebung, wobei Bewegungs- als Machtstrukturen freigelegt werden könnten. Andererseits reflektiere die Form des Loops die mit der Filmrezeption verknüpften Momente synästhetischer Erfahrung, motorischer Empathie und haptischer Reize. Der Film, so werde es in Arnolds Arbeiten Kulle zufolge deutlich, umfasse als Medium nicht allein die technisch-konstruktive Hervorbringung von Bewegtbildern, sondern stets auch deren Wahrnehmung. Kulles Ansatz, das Moment der Perzeption in den besprochenen (De-)Animationen zur deren Reflektion medialer Strukturiertheit ins Verhältnis zu setzen, erwies sich dabei als gleichermaßen anregend und fortsetzungswürdig.

Abschließend berichtete Holger Lang (Wien) von der eigenen künstlerisch-experimentellen Arbeit an einer „visuellen Sprache“ der Bilder. Insoweit das unbewegte Einzelbild innerhalb einer Bilderserie zur Grundlage der Wahrnehmung von Bewegung oder Veränderung werde, ließe sich Lang zufolge die weiterführende Frage nach der Verknüpfung von Bildern analog zu Sätzen und Texten stellen, die einer eigenen „Grammatik“ der Wahrnehmungsmuster folgen könnten. Inwieweit eine derartige Übertragung sprachanalytischer Kategorien und Begrifflichkeiten auf Bildzusammenhänge möglicherweise an Grenzen stoßen könnte, wurde im Anschluss an den Vortrag u.a. mit Verweis auf die Semiologie des Films von Christian Metz diskutiert.

Bewegte Bilder, bewegte Welten: Animation und Raum

Dass Bewegung auch jenseits von Figuren als Zusammenhang von Bildern fungieren kann – etwa zur Visualisierung imaginierter Räume – zeigte sich im zweiten Panel: Cornelia Lund (Hamburg) widmete sich der Bedeutung digitaler Animationen für die mediale Darstellung von Architekturvisionen. So habe die Verwendung von Animationssoftware seit den 2000er Jahren verstärkt zur Verflüssigung des visualisierbaren architektonischen Raumes jenseits der „Schuhschachtel-Architektur“ beigetragen. Die entsprechenden Darstellungsmöglichkeiten seien laut Lund zur Grundlage eines eigenen künstlerischen Genres nicht-narrativer Kurzfilme bzw. Musikvideos geworden, dessen Raumkonzepte sich von real gebauter Architektur und kommerziellem Architektur-Rendering ebenso deutlich unterscheiden ließen wie vom potentiell immersiven Raum des narrativen Films.

Keynote Lecture: Animation, in Theory

Den ersten Konferenztag beschloss Suzanne Buchan (Farnham/UK) mit ihrer Keynote Lecture. Unter dem Titel „Animation, in Theory“ zeigte Buchan auf, welche besonderen Herausforderungen die Animation als Gegensand für die Analyse und Theoriebildung bereithält und plädierte zugleich für einen gleichermaßen kritischen wie proaktiven Ansatz der Animationsforschung. Ihre zunehmende kulturelle Bedeutung und Allgegenwärtigkeit erlange die Animation in diesem Sinne gerade aufgrund der Heterogenität ihrer möglichen Formen, welche ihrerseits eine multiperspektivische wissenschaftliche Auseinandersetzung erforderlich mache. Letztere könne Buchan zufolge an historische Arbeiten zur Animation (z.B. in Festivalkatalogen oder frühen Buchpublikationen) ebenso wie an etablierte Konzepte der Filmwissenschaften anknüpfen, müsse jedoch darüber hinaus auf der mikroanalytischen Ebene ihr eigenes Begriffsinstrumentarium schrittweise überprüfen und ergänzen. Der Animation in ihrer Vielgestalt sei dabei nur über eine Kombination unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen und Methoden gerecht zu werden, in der Generalisierungen und begriffliche Verengungen zu vermeiden seien. Buchan warb zudem für die Verwendung des Englischen als lingua franca um auch nationale Diskurse an die internationale Animationsforschung anzuschließen. Ihre zentrale Folgerung, dass es aufgrund der von ihr umrissenen Besonderheiten die einheitliche Theorie der Animation kaum geben könne, bestätigte sich auch in der Diskussion im Anschluss an ihren Vortrag: Zwar bestand Einigkeit darüber, dass die Beschreibung von Animation als einem distinkten (filmischen) Genre eine Verengung bedeuten würde – mit Kategorien und Ansätzen wie der Gattung, den medientechnischen Grundlagen, der etymologischen Bestimmung über den Wortstamm des lateinischen animare oder den divergierenden Rezeptionskontexten wurden jedoch alternative Zugänge vorgeschlagen, die sich der Animation auf ganz unterschiedlichen analytischen Ebenen und mit entsprechend wechselnden, sich gleichwohl ergänzenden, Erkenntnisinteressen nähern können.

Gut getrickst – Animationsfilmabend im Metropolis Kino

Der von Suzanne Buchan in ihrer Keynote Lecture hervorgehobene Facettenreichtum der Animation wurde am Abend auf eindrucksvolle Weise anschaulich gemacht: Unter dem Titel „Gut Getrickst“ zeigte das Hamburger Metropolis Kino ein von Wiktoria Pelzer (Wien) kuratiertes Programm aus kurzen Animationsfilmen, die in den vergangenen Jahren auf deutschsprachigen Filmfestivals zu sehen waren. Die insgesamt zehn Arbeiten bedienten dabei ganz unterschiedlicher Ausgangsmaterialien und Verfahren – von der klassischen Stopptrick-Animation aus Papier, Ölfarben oder historischen Druckgrafiken bis hin zur in 3D gerenderten Computeranimation.

Kunst, Ästhetik, Theorie: Perspektiven der Animationsforschung

Am Freitag wurde dann erneut bestätigt, wie abwechslungsreich die möglichen Fragestellungen einer Animationsforschung ausfallen können – mit dem Motiv bewegter bzw. belebter Figuren wurde dabei zugleich ein bereits am Vortag diskutierter Topos mehrfach wieder aufgegriffen und weiterführend diskutiert.

Im ersten Panel standen zunächst theoretische und ästhetische Aspekte im Vordergrund: Birgit Leitner (Weimar) stellte in ihrem Beitrag zwei Richtungen der kulturphilosophischen Einordung der Animation gegenüber: (1) die affirmative, akzeptierende Betrachtung eines Konsumguts, das Lachen und Unterhaltung verspreche sowie (2) die dezidiert kritische Perspektive, welche im Sinne Adornos gegen die Produkte der Kulturindustrie mittels einer „Ästhetik des Widerstands“ [2] zu opponieren versuche und dabei auf politische Wirksamkeit abziele. Im Weiteren schlug Leitner eine Lesart der Animationsfilmreihe The Ant and the Aardvark (USA 1969–1971) vor, welche deren Steigerungsdramaturgie sich gegenseitig überbietender Handlungen anthropomorpher Tierfiguren als „Spielanleitung“ für den sozialisierten Menschen der Moderne begriff.

Anschließend vollzog Christian Stewen (Bochum) am Beispiel der Marionette Pinocchio aus der gleichnamigen Trickfilmfassung der Disney-Studios (USA 1940) und des Roboters David aus der Steven Spielbergs AI (USA 2001) den Prozess der „Menschwerdung“ im Animationsfilm nach. Die animierte Figur als belebtes Wesen sei Stewen zufolge stets gleichermaßen Produkt einer technischen Praxis, Ergebnis einer ästhetischen Ausdrucksform und Charakter innerhalb eines Narrativs. Die Durchdringung dieser drei Ebenen wäre in ihrer jeweiligen Spezifik exemplarisch anhand der künstlichen, toten Figur analysierbar, welche qua Bewegung zum Leben erweckt werde. Diskutiert wurde anknüpfend an Stewens Vortrag, ob letztlich jede Figur im narrativen Kontext das Potential zur Reflexion ihres eigenen Entstehungsprozesses berge – und so die Frage nach der Originalität der Figur letztlich auf die Suche nach der Substanz desjenigen Mediums verweise, in welchem sie hervorgebracht werde.

Susanne Marschall (Tübingen) zeigte schließlich die Chancen und Probleme beim Erschließen der Animationsgeschichte am Beispiel der Trickfilmkunst Lotte Reinigers auf. Marschall berichtete aus der Praxis eines von ihr geleiteten Lehrforschungsprojektes an der Universität Tübingen, das Reinigers Arbeiten in Form einer Fernsehdokumentation aufarbeitete, und machte dabei auch auf die kulturhistorische Bedeutung der frühen Scherenschnittanimationen Reinigers aufmerksam.

Hybride Formen: Animation transmedial

Das zweite Panel des Freitags widmete sich der Animation im Hinblick auf die Überschreitung medialer Grenzen und Entstehung hybrider medialer Formen. Lukas R. A. Wilde (Erlangen-Nürnberg) nahm die Figur des Affen Caesar aus dem Kinofilm Rise of the Planet of the Apes (Rupert Wyatt, USA 2011) zum Ausgangspunkt, um Fragen zum Verhältnis zwischen schauspielerischer Bewegungsfolge und synthetischer Figur im Live-Action-Film aufzuwerfen. Zwar ermögliche es die Technik des Motion Capturing, die individuelle Mimik und Gestik eines Schauspielerkörpers auf die computergenerierte Figur eines Sythespian zu übertragen, um so die Identifizierbarkeit des letzteren als einem „wiedererkennbare[n] fiktive[n] Wesen“ [3] zu fördern. Zugleich werde mit der Computeranimation jedoch auch die signifikante Veränderung dieser Bewegungsmuster innerhalb desselben Filmes ermöglicht. Die von Wilde beschriebenen Probleme bei der Etablierung geeigneter Analysekategorien für die Kunst des Schauspielens im Kontext digital animierter Figuren bildeten auch in der nachfolgenden Diskussion einen Schwerpunkt; eventuelle Anknüpfungspunkte wurden dabei in den Beschreibungsmodelellen der Tanz- und Bewegungswissenschaften ausgemacht.

Im Anschluss widmete sich Yvonne Zacharias (Wien) der Beschreibung grundsätzlicher Konsequenzen der Verwendung computergerierter Bildinhalte für die Filmproduktion und –Ästhetik. Anknüpfend an Klaus Maiwald verstand Zacharias Ästhetik dabei im Sinne einer stimulierenden Wahrnehmung von Differenz, um im Weiteren aufzuzeigen, wie die Verwendung digital animierter Spezialeffekte, Figuren oder Räume die (subjektive) Glaubwürdigkeit des Gezeigten in Frage stellen könne. Zu gewährleisten sei diese Glaubwürdigkeit nur, wo die einzelnen filmischen Gestaltungsmittel eine stimmige – wenngleich von der Realität abweichende – ästhetische Gesamterfahrung ermöglichten.

Die Verwendung computergestützter Animationen jenseits des Kinofilms untersuchte Felix Schröter (Hamburg) in Form sogenannter Tech Demos – als Vermarktungsinstrument für Videospiel-Engines erstellten Kurzfilmen, welche als Werbeinstrument die Leistungsfähigkeit und die grafischen Qualitäten der neuen Software-Generationen belegen sollen. Aus diesen Anforderungen ließen sich laut Schröter vier ästhetische und narrative Kernmerkmale der Tech Demo ableiten: (1) die Darstellung einer ‚lebendigen‘, d.h. stetig bewegten Natur; (2) der Einsatz von Lichteffekten wie Reflektionen oder simuliertem Lens Flare; (3) das Rekurrieren auf Genremuster insbesondere der Fantasy und Science-Fiction sowie wiederum (4) die Inszenierung der Animation als Belebung von zuvor Unbelebtem. Insbesondere letzteres Motiv zeigte sich in den vorgestellten Beispielen innerhalb stark emotionalisierender Darstellungen – wobei die möglichst photorealistisch-naturalistische Wiedergabe von Emotionen durch Mimik, Gestik usw. Schröter zufolge ebenfalls als Verkaufsargument der Softwarehersteller begründbar sei.

Anima-T(i)on: Musik, Sound und animierte Bilder

Dass die Eindrücke von Bewegung und Lebendigkeit oftmals nicht das alleinige Ergebnis visueller Darstellungen sind, sondern in großen Teilen auch auf der Ebene des Auditiven hervorgerufen werden, zeigte sich im dritten Panel des Freitags. Saskia Jaszoltowski (Berlin) ging den Zusammenhängen zwischen der Einführung des Tonfilms und dem einsetzenden Erfolg animierter Cartoonfiguren wie Mickey Mouse nach. Sei die Ebene des Auditiven im stummen Animationsfilm der Begleitung durch Kinomusiker überlassen oder – visualisiert als gezeichnete Note oder Onomatopöie – in das Filmbild integriert gewesen, wurde mit dem Tonfilm die exakte Synchronisation von Bild- und Tonspur ermöglicht. Durch die Übereinstimmung von Bild- und Taktfrequenz werde in Filmen wie Steamboat Willie (Walt Disney/Ub Iwerks, USA 1928) so die Musik zum eigentlichen Ausgangspunkt der Animation, indem sie Bewegungsfolgen der Tierfiguren determiniere, als deren Stimme im Sinne einer „Beseelung“ fungiere und darüber hinaus für vielfältige komische Effekte in der Tradition des Vaudeville-Theaters zur Anwendung gelangen könne.

Die Bedeutungsspielräume, welche sich aus der Interaktion von Ton und animiertem Bild ergeben können, illustrierte Hannes Raffaseder (St. Pölten) anhand einer Reihe ausgewählter Beispiele. In Raffaseders Vortrag zeigte sich die – oftmals nur unbewusst wahrgenommene – Soundebene als ein zentraler Bestandteil der Darstellung von Figuren und Räumen, welcher ikonische, symbolische sowie metaphorische Bedeutungsverknüpfungen ermögliche. Zur Analyse der akustischen Ereignisse im Animationsfilm in ihrer Beziehung zum Visuellen böten sich dabei die z.T. bereits etablierten, grundlegenden Kategorien der Paraphrase/Illustration, Polarisation und Dissonanz an, welche Raffaseder zufolge jedoch der Ausdifferenzierung und Präzisierung bedürften. Darüber hinausgehend zeigte sich der Begriff des „Rhythmus“ im anknüpfenden Gespräch als ggf. geeigneter Analysebegriff für die Animation insgesamt – gerade dort, wo animierte Bilder mit Tönen kombiniert sind.

Special Session: Präsentation studentischer Arbeiten

Den abschließenden Programmpunkt des Freitags bildete eine Special Session, in deren Rahmen Studierende die Gelegenheit erhielten, eigene (Abschluss-)Arbeiten aus dem Bereich der Animationsforschung vorzustellen.

Auch dabei stand zunächst das Verhältnis von Sicht- und Hörbarem im Vordergrund: Ulrike Wirth nutzte theoretische Überlegungen zu einer „beseelten“ Objektwelt und zur Animation als Verlebendigung für eine Analyse der Videoarbeit Cross-fire des Künstlers Geoffrey Mann, in welcher er die Schallbewegungen eines Audioexzerpts aus Sam Mendes American Beauty (USA 1999) mittels Animation visualisiert und auf einen gedeckten Tisch überträgt.

Aleksandra Nowacka untersuchte die Möglichkeiten und Grenzen der jeweiligen Darstellungsverfahren in Literatur und Animationsfilm, indem sie die Konzepte der Transformationsanalyse nach Michaela Mundt [4] und des Medienwechsels nach Irina Rajewsky [5] auf die Adaptation von Akiyuki Nosakas Erzählung Hotaru no haka im gleichnamigen Animationsfilm von Isao Takahata (Japan 1988) anwendete, um in einem Close Reading die Unterschiede zwischen der literarischen Vorlage und ihrer Verfilmung herauszuarbeiten.

Ein spezifisches Verfahren für die Transformation japanischer Manga in Animationsfilmen stellte Kirstin Wachter mit der Software ANiMiX vor. Die in ANiMiX realisierten Animationen böten laut Wachter die Möglichkeit zur Erzeugung vergleichsweise schlichter Bewegungs- und Toneffekte und seien gerade deshalb eine kostengünstige Alternative zu aufwendigeren Anime-Produktionen.

Dass im Zuge der Digitalisierung nach wie vor vertraute, analoge Medien- bzw. Animationsästhetiken aufgegriffen werden, zeigte Stefan Schweigler am Beispiel des TV-Serien-Vorspanns. Ausgehend von der durch Jens Schröter konstatierten ‚Unterkomplexität‘ der Dichotomie zwischen Analogem und Digitalem [6] sowie Überlegungen zur Remediation [7] und Nostalgie nach Svetlana Boym [8] machte Schweigler klar, wie sich die Animation in unterschiedlichen Darstellungstraditionen und mit wechselnden politischen Implikationen (von der Restauration bis zur kritischen Reflexion) als nostalgische Bezugnahme des Digitalen auf das Analoge verstehen ließe. Im Ergebnis zeigte sich ein anschlussfähiger Ansatz, die komplexen Beziehungen zwischen analoger und digitaler Animation zu systematisieren und zugleich auch hinsichtlich ihrer kulturellen Dimensionen zu erfassen.

Vernetzungsworkshops

Der Samstagmorgen stand zunächst im Zeichen des gemeinsamen Austauschs über die zukünftigen Aufgaben und Ziele der deutschsprachigen Animationsforschung sowie konkrete Mittel und Wege zur Intensivierung der Zusammenarbeit: In einem gemeinsamen Arbeitstreffen stellten sich zunächst mit der AG Animationsfilm, der Association Internationale du Film d’Animation (ASIFA) Austria und dem Deutschen Institut für Animationsfilm (DIAF) drei Institutionen aus dem Bereich des animierten Films vor, ehe im direkten Anschluss das Jahrestreffen der AG Animation der Gesellschaft für Medienwissenschaft stattfand. Das Treffen ermöglichte die Verständigung über bisherige Aktivitäten der vertretenen Institutionen und über individuelle Forschungsvorhaben, verdeutlichte aber auch grundlegende bzw. allgemeine Aufgabenfelder: Die verstärkte Untersuchung von Animation in Bezug auf Rezeptionsaspekte, die Erschließung der Animationsgeschichte durch Materialsammlungen und Archive, das systematische Bibliographieren von Forschungsliteratur, die Koordination von Fördermöglichkeiten und Projektanträgen, die Nachwuchsförderung im Bereich der deutschen Animationsforschung, deren internationale Vernetzung sowie eine verstärkte Anbindung an die Animationspraxis wurden dabei als programmatische Ziele formuliert.

Visualisiertes Wissen, animierte Informationen

Im ersten der beiden folgenden Panels des Samstags stand die Rolle der Animation im Bereich der Wissensvermittlung im Vordergrund: Anna Ehsani (Wien) schilderte die Möglichkeiten der Verwendung animierter Filme bei der Vermittlung komplexer Wissenszusammenhänge aus den Bereichen der Mathematik, Logik und Informatik. Dabei könne die Form der Animation eine „Schwellenfunktion“ beim Kontakt mit neuen Informationen übernehmen, indem sie etwa Verfahren der Abstraktion oder der Verwendung von Metaphern biete. Zu diesem Zweck sei jedoch ein reflektierter Prozess des Informationsdesigns erforderlich, welcher die im Kern zu vermittelnden Sachverhalte ebenso präzise zu berücksichtigen habe wie die intendierten Rezipienten.

Rosa von Suess und Angelika Schneider (St. Pölten) stellten Ergebnisse aus ihrem Forschungsprojekt  „New Visions of Emerging Technologies“ vor, das die Entwicklung eines neuen Fernseh-Wissenschaftsformates für ein junges Zielpublikum an eine Analyse der Wissenskommunikation im deutschsprachigen Fernsehen koppelte. Das Kernelement der überwiegend polythematisch ausgerichteten Wissenschaftssendungen sei dabei die Figur des – zumeist männlichen – Moderators; Animationen kämen überwiegend im Sendungsdesign (z.B. im Vorspann) zum Einsatz, bildeten darüber hinausgehend jedoch nur selten eine eigenständige Beitragsform. Für die Entwicklung des eigenen Formates tagged sei daher der Versuch unternommen worden, den konventionellen Moderator durch animierte Formen der Informationsvermittlung mit einem einheitlichen Stil zu ersetzen.

Zwischen Fakt und Fiktion? Animation und Dokumentation

Eine so aktuelle wie komplexe Thematik stand für das letzte Panel der Tagung auf dem Programm: das Verhältnis der Animation zur Dokumentation. Zu Beginn zeigte Philipp Blum (Marburg), dass der Modus des Dokumentarischen, gekennzeichnet durch die diskursive Zuschreibung eines besonderen Realitätsbezuges bzw. die Präsupposition der Realität eines Enunziators durch den Rezipienten [9], keineswegs dem Einsatz von Animation als Darstellungstechnik entgegenstehen müsse. Vielmehr ließen sich in der Geschichte des dokumentarischen Films zahlreiche Beispiele für die Verwendung von Animationen finden, mittels derer Realitäten als ‚wirklich‘ konstituiert werden könnten, die einer fotografischen Abbildung prinzipiell entzogen seien. In Ari Folmans Waltz with Bashir (Israel 2008) zeige sich so etwa das In-Bewegung-setzen der Animation als äquivalente Operation zum Prozess der Erinnerung ohne direkte Referenz im Realen, welcher auf der Ebene des Narrativs thematisiert werde.

In welchem Umfang die in jüngster Vergangenheit zunehmend beachtete Form des animierten Dokumentarfilms über eine eigene Tradition verfügt, machte der Beitrag von Annegret Richter (Leipzig) deutlich. Richter schilderte ihre kuratorische Arbeit für die Programmschiene Animadok des Leipziger Festivals für Dokumentar- und Animationsfilm und ging auf die damit verbundenen Schwierigkeiten bei der eindeutigen definitorischen Bestimmung des animierten Dokumentarfilms ein. Die geschilderte Problematik sei letztlich ein Ergebnis der Heterogenität möglicher ästhetischer Stile und inhaltlicher Thematiken – in unterschiedlichen Verfahren gelange Animation im Dokumentarfilm dabei überwiegend dort zur Anwendung, wo die Darstellung durch ein filmisches Realbild unmöglich bliebe. Entscheidend für die Qualifikation der Animation als ‚dokumentarisch‘ seien laut Richter die Faktoren der „Authentizität“ und „Glaubwürdigkeit“. Doch beide Kriterien ließen sich ihrerseits weitergehend problematisieren – zu hinterfragen wäre dann, welche Kombinationen aus Produktionsweisen, ästhetischen Qualitäten und diskursive Zuschreibungen eine Animation „glaubwürdig“ und „authentisch“ im Sinne des Dokumentarischen erscheinen lassen könnten.

Dass der Rückgriff auf animierte Formen auch jenseits des Dokumentarischen eng mit der Frage nach dem Zeig- bzw. Darstellbaren verknüpft sein kann, wurde von Anna Telic (Wien) mit einem Vortrag zur Verbreitung regimekritischer Animationen im aktuellen Kontext der Aufstände in Syrien demonstriert. Die seit 2011 auf verschiedenen Online-Plattformen verbreiteten Kurzfilme seien einerseits auf kulturelle Traditionen anonymisierter Gesellschaftskritik wie das Schattentheater des 12. Jahrhunderts rückführbar, andererseits sei im Zuge der jüngsten Arabischen Revolutionen das regionale Ansehen für populärkulturelle Formen erheblich gewachsen. Seit dem Beginn der Aufstände in Syrien würden so Präsident Bashar al-Assad, andere arabische Führerpersönlichkeiten und internationale Politiker zum Gegenstand offen kritischer Animationsfilme, die von einem wachsenden arabischsprachigen Publikum rezipiert würden. Als vielversprechend für die Analyse der von Telic beschriebenen Filme zeigte sich in der anschließenden Diskussion das Potential der Animation nicht nur zur anonymisierten Kritik, sondern vor allem auch zur gleichzeitigen Karikierung der dargestellten Persönlichkeiten.

Résumé

In ihren verabschiedenden Worten hoben die Veranstalter_innen noch einmal hervor, was sich zuvor in zahlreichen Vorträgen, Diskussionen und Gesprächen bereits abgezeichnet hatte: Der Austausch zwischen unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen, aber auch die Kooperation mit Vertreter_innen der Praxis sind so geeignet wie notwendig, um dem Forschungsfeld der Animation in seiner Komplexität gerecht zu werden. Es ist insofern zu hoffen, dass den in Hamburg diskutierten Fragestellungen und Forschungsperspektiven bei weiteren Zusammenkünften regelmäßig nachgegangen wird. Zu den ersteren zählt in jedem Fall der Zusammenhang zwischen der Bewegung als Darstellungsfaktor einerseits und der ‚Beseelung‘ und Identifikation bewegter Figuren andererseits, wie er in wechselnden Aspekten wiederholt diskutiert wurde. Dieser Schwerpunkt scheint in zweifacher Hinsicht gerechtfertigt: Die animierte Figur ist nicht nur exemplarisches Ergebnis der Synthese unbewegter Einzelteile. Sofern in ihr der Vorgang des Animierens selbst ‚figuriert‘, erwies sie sich auch als geeigneter Ausgangspunkt, um dessen mediale, technische und materiale Vorraussetzungen zu reflektieren. Darüber hinaus wurde in der Zusammenschau der einzelnen Beiträge ein weiteres Charakteristikum der Animation erkennbar: Immer wieder zeigte sich auch das Potential animierter Bewegtbilder, Abbildungsmuster zu karikieren bzw. zu parodieren, etablierte Darstellungskonventionen zu hinterfragen, Sehgewohnheiten zu unterlaufen, Gattungs- sowie Genregrenzen zu überschreiten – und somit die wissenschaftliche Definitions- und Kategorienbildung stetig aufs Neue herauszufordern. Eine deutschsprachige Animationsforschung im verstetigten Austausch kann somit einer ganzen Reihe weiterer Aufgaben und Zielsetzungen nachgehen – die systematische Auseinandersetzung mit den historischen Entwicklungslinien des Animierens und die Ausdifferenzierung seiner jeweiligen medialen Bedingungen seien hier nur beispielhaft herausgegriffen. Die von den Redner_innen gewählten Gegenstände und Fallbeispiele machten schließlich auch deutlich, dass es sich beim In-Bewegung-setzten nicht allein um ein medien- sondern gleichermaßen um ein kulturübergreifendes Phänomen handelt. Um die Animation als ein solches erfassen zu können – aber auch zugunsten der eigenen Sichtbarkeit –, erscheint daher für die deutschsprachige Animationsforschung nicht zuletzt der von Suzanne Buchan angeregte Austausch mit internationalen Forscher_innen wünschenswert, wie er sich etwa durch die Wahl des Englischen als Tagungssprache oder der Übersetzung zentraler Forschungsarbeiten in der Zukunft weiter verfolgen ließe.

Die Beiträge von Oliver Schmidt („Zwischen Avantgarde und Blockbuster – Animierte Informationsräume in der aktuellen Fernsehlandschaft“) und Sven Stollfuß („Animierte Anatomie. Zum Wissen digitaler Körperinnenwelten in der modernen Medizin“) mussten leider entfallen.


[1] Erich Auerbach, Figura, in: Archivum Romanicum,22, 1938, 436-439.

[2] Peter Weiss, Die Ästhetik des Widerstands. Roman, Frankfurt/M. (Suhrkamp Verlag) 2005

[3] Jens Eder, Die Figur im Film, Marburg (Schüren) 2008, 64.

[4] Michaela Mundt, Transformationsanalyse. Methodologische Probleme der Literaturverfilmung,Tübingen (Niemeyer) 1994.

[5] Irina O. Rajewsky, Intermedialität, Tübingen (UTB) 2002.

[6] Jens Schröter: Analog/Digital – Opposition oder Kontinuum?, in: Alexander Böhnke, Jens Schröter (Hg.), Analog/Digital – Opposition oder Kontinuum, Bielefeld (transcript Verlag) 2004, 16.

[7] Jay David Bolter, Richard Grusin, Remediation. Understanding New Media, Cambridge, MA, London (The MIT Press) 2000.

[8] Svetlana Boym, The Future of Nostalgia, New York (Basic Books) 2001.

[9] Roger Odin, Dokumentarfilm und dokumentarisierende Lektüre, in: Christa Blümlinger (Hg.), Sprung im Spiegel. Filmisches Wahrnehmen zwischen Fiktion und Wirklichkeit, Wien (Sonderzahl) 1990, 131.